In unserer westlichen Kultur begrüßen wir uns meistens mit „Wie geht es Dir?“. Die wenigsten Menschen interessieren sich wirklich dafür, wie es uns geht. Häufig antworten wir mit einer Floskel wie z.B.: „Alles gut“. Wir haben uns daran gewöhnt, eine eher oberflächliche und wenig wertschätzende Kommunikation ohne viel Empathie – im privaten wie beruflichen – zu führen. Ein gelungener Einstieg in eine empathische Kommunikation sieht anders aus.
Die Mitglieder des Zulu-Stamms (größte ethnische Gruppe Südafrikas) nutzen einen empathischeren Gesprächs-Einstieg. Ihre häufigste Begrüßung lautet „Sawubona“, was so viel bedeutet: „Ich sehe Dich und Du bist mir wichtig und ich schätze Dich“. Die Antwort der Zulu auf diese Begrüßung lautet nicht „alles gut“ wie bei uns, sondern: „Shiboka“. Das bedeutet so viel wie: „Dann existiere ich für Dich“. Mit dem Wort „Sawubona“ wird die eigene Präsenz und Aufmerksamkeit für den Anderen, das Interesse an der Entdeckung der Bedürfnisse, der Ängste, Sorgen und Schwächen des Gesprächspartners / -partnerin zum Ausdruck gebracht. Diese Gesprächs-Eröffnungs-Weisheit des Zulu Stamms beinhaltet Vieles von dem, was wir unter Empathie verstehen.
Die „Ich sehe Dich“-Metapher ist für mich ein wunderbarer Ausdruck dafür, was Empathie ist: unsere Fähigkeit bei einem Menschen wahrzunehmen, was dieser denkt und fühlt. Empathie ist die Fähigkeit sich mit anderen Menschen zu verbinden, um Ihre Gedanken, Perspektiven und Emotionen zu erkennen und zu verstehen. Wir „laufen“ ein Stückweit in den „Schuhen des anderen“ und lernen dadurch seine/ ihre Weltsicht kennen.
Empathie lässt sich in 3 Bereiche unterteilen:
Mitgefühl vs. Mitleid
Die emotionale Empathie, die auch als Mitgefühl bezeichnet werden kann, unterscheidet sich maßgeblich von dem Gefühl von Mitleid. Mit-zu-fühlen bedeutet nicht mit zu leiden. Wenn ich mitfühle, bin ich bei meinem Gegenüber und schaue aus der Perspektive des Gegenübers darauf, was passiert ist und was für meinen Gegenüber Bedeutung hat. Jedoch lasse ich mich selbst komplett raus – ich setze mich quasi auf den „Stuhl“ des Gegenübers. Ich weiß allerdings jederzeit, dass das nicht mein Stuhl ist, und dass ich mich jederzeit wieder zurück auf meinen Stuhl setzen kann. Echte emotionale Empathie bezieht sich nicht auf mich und auf das, was es für mich selbst bedeutet. Wirkliches Freuen für meinen Gegenüber ist gelebte emotionale Empathie „wie großartig für Dich“. Immer wenn wir mit eigener Angegriffenheit oder Verlustangst etc. reagieren, dann wissen wir, dass wir in diesem Moment keine (echte) Empathie empfinden.
„Ein Leben in Mitgefühl mit anderen Menschen und Allem!“ (zentrale buddhistische Lebensweisheit)
Mitleid zeigt uns, dass wir zu viel fühlen. Wir werden dann in das Gefühl unseres Gegenübers reingezogen. Die eigene Betroffenheit kann die emotionale Empathie verhindern. Wir alle neigen dazu, etwas gegen die unangenehmen Gefühle des Gegenübers tun zu wollen. Wir tun uns häufig schwer, unangenehme Gefühle (auch und gerade unseres Gegenübers) auszuhalten. Wenn wir Mitleid empfinden, stellen wir uns selbst in den Mittelpunkt des Geschehens und sind dann nicht mehr bei unserem Gegenüber.
Empathie ist gleichzeitig eine Kompetenz und eine spezifische Haltung, mit anderen Menschen umzugehen (sie v.a. emotional wirklich zu sehen), diese zu verstehen („das DU verstehen“) und sie zu unterstützen (ich verstehe Dich – ich kann mitfühlen – ich möchte Dir helfen). Der deutsche Philosoph Richard David Precht bezeichnet diese Fähigkeit als „soziales Schach“ und ist davon überzeugt, dass „Empathie-Berufe“ der größte Wachstumsmarkt der Zukunft sind (s. Artikel KI und Kompetenzen). Zuhören ist die Brücke zur Empathie. Die innere Haltung "Ich interessiere mich wirklich für das, was mein Gegenüber sagt", bildet dabei die Basis für ein zugewandtes Zuhören.
Was macht empathische Zuhörer aus?
Die 4 Säulen der Empathie
Theresa Wiseman hat auf der Basis der Gewaltfreien Kommunikation und nach den Erkenntnissen des Psychologen Carl Rogers, 4 Säulen der Empathie definiert:
Die amerikanische Schamforscherin Brene Brown zeigt in einem kurzen Cartoon-Video sehr anschaulich den Unterschied zwischen Empathie und Sympathie.
Wie wichtig die sog. „Soft Skills“ für Führungskräfte sind, ist in den letzten Jahren hinreichend beschrieben und durch Studien belegt worden. Gerade in der Corona-Zeit hat die Fähigkeit der Empathie enorm an Bedeutung gewonnen. Die Mitarbeiter wünschen sich emotional sensible und v.a. empathische Vorgesetzte, das hat u.a eine Befragung des Handelsblatts ergeben s. Link. Darüber hinaus wirkt Empathie als emotionaler "Klebstoff" der Teams zusammenhält.
Empathische Führung wird immer mehr zum zukunftsweisenden Führungsstil. Einen aktuellen Beleg dafür, dass es eine signifikante Korrelation zwischen empathischem Führungsstil und Geschäfts-Erfolg gibt, liefert eine aktuelle Studie von Forbes.
Die Ergebnisse der Forbes-Studie im Überblick:
In meinen Coachings und Trainings werde ich häufig von Menschen gefragt, ob Empathie angeboren ist, oder trainiert werden kann? Ich sage dann gerne JA!…. beides gilt. Empathie ist eine Persönlichkeits-Eigenschaft, die zu einem gewissen Grad genetisch angelegt ist. Wir können unsere Empathie-Fähigkeit darüber hinaus aber sehr gut trainieren:
1.) Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Selbstwahrnehmung und der Empathie. Je besser ich mich selbst wahrnehmen kann, desto höher wird meine Empathie sein. Der Psychologe John Gottman hat hierzu ausführlich geforscht. Indem ich meine Selbst-wahrnehmung trainiere, trainiere ich auch meine Empathie-Fähigkeit.
2.) Jedes Gespräch kann genutzt werden, um die emotionale Empathie zu trainieren: geben Sie Ihrem Gegenüber die von Ihnen wahrgenommenen Gefühle wieder und fragen Sie nach, ob Sie „richtig“ liegen.
3.) Nach Chade-Meng Tan (2012) ist die „Güte der Motor der Empathie“. Meine eigenen praktischen Erfahrungen zeigen, dass Menschen sich um so einfühlsamer verhalten können, je größer die Güte ist, mit der Sie anderen Menschen begegnen. Hierfür hat sich auch die „Genau-wie-ich-Mediation“ in der Praxis bewährt.
Das nachfolgende Zitat des verstorbenen Schauspielers Robin Williams bringt die Güte auf den Punkt:
„Jeder kämpft , den Du kennst, kämpft in einer Schlacht, von der Du nichts weißt. Sei nett. Immer.“
4.) Sich bewusst zu machen, dass jeder andere Mensch genauso ist wie ich, d.h. die empfundene Ähnlichkeit mit anderen Menschen ist eine weitere Trainingsmöglichkeit, die die Empathie-Fähigkeit steigert.
5.) Nach M. Rosenberg (Begründer des Konzeptes der Gewaltfreien Kommunikation) bedeutet Empathie, dass man sehr präsent in einem Gespräch ist. Jedes Gespräch bietet die Möglichkeit, 5% mehr präsent in dem Gespräch zu sein und wirklich den anderen Menschen zu sehen, "bei Ihm" zu sein, und nicht gedanklich abzuschweifen. Lassen Sie das Gehörte des Gegenübers wie einen Kinofilm in Ihrem Kopf ablaufen, so schaffen Sie eine höhere Präsenz im Gespräch.
Empathie ist eine besonders wichtige Kompetenz, die uns zu einem sozialen Wesen macht. Indem wir andere Menschen wirklich sehen können, d.h. indem wir wahrnehmen, was Sie denken und fühlen, schaffen wir eine Verbindung zu Menschen.
Wir alle wollen in unserer Persönlichkeit gesehen und wertgeschätzt werden - Empathie ist der Weg dorthin. Empathie ist gezielt trainierbar und gilt als zentrale Fähigkeit für Führungskräfte.
Übrigens: Dänemark hat Empathie als eigenes Schulfach eingeführt. Der NDR titelt: "Empathie als Schulfach - Zuhören und Respektieren" - Link zum Bericht.
Weitere Informationen unter www.nicorolli.de.
Quellenangaben:
Bauer, J. (2006). Kleine Zellen, große Gefühle – wie Spiegelneuronen funktionieren. Vortrag in SWR 2, 8. Januar 2006, 8:30h.
Goleman, D. & Boyatzis, R. (2008). Social intelligence and the biology of leadership. Harvard Business Review, 09/2008.
Wiseman, T. (1996) A concept analysis of empathy. Journal of advanced nursing 23, 1162-1167
Nico Rolli
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